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"Ohne Archiv keine Kritik"

Meinungen zur geplanten Umlegung des OÖ. Landesarchivs

Anfang April 2025 erklärte der OÖ. Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP), dass das OÖ. Landesarchiv 2029 von seinem derzeitigen Standort in Linz in das Schloss Bergheim in Feldkirchen an der Donau verlegt werden soll. Die Verlegung des Standorts des Oö. Landesarchivs sorgt vielerorts für Irritationen, wie etwa die Petition „Erhalt des OÖ Landesarchivs am Standort Linz“ belegt:

https://www.openpetition.eu/at/petition/online/erhalt-des-ooe-landesarchivs-am-standort-linz

Zur Einschätzung der Situation haben wir um Stellungnahmen von fachlicher Seite gebeten und Direktor Hofrat Mag. Thomas Just, Leiter des Haus-, Hof- und Staatsarchivs in Wien sowie Frau Assoz. Univ.-Prof.in Mag.a Dr.in Regina Thumser-Wöhs, stellvertretende Institutsvorständin des Instituts für neuere Geschichte und Zeitgeschichte an der JKU in Linz um Einschätzung der Situation gebeten: 

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Die Pläne, das Oberösterreichische Landesarchiv aus der Landeshauptstadt Linz nach Feldkirchen an der Donau in das Schloss Bergheim zu verlegen, verwundern. Es scheint, dass es sich dabei um eine politisch-bürokratische Form von Kindesweglegung handelt. Denn wie sollte es man sonst nennen, wenn die Landesverwaltung plant in Zeiten von Informationsfreiheit ihr zentrales Institut für die Überlieferung und Sicherung von authentischer Information aus der Landeshauptstadt in die Peripherie zu verlegen? Noch dazu nicht in einen als modernes zeitgemäßes Archiv geplanten Neubau, sondern in ein historisches Schlossgebäude, dessen Adaptierfähigkeit zumindest zweifelhaft erscheint.

Welches Signal sendet die Verlagerung von Linz in einen nur schwer öffentlich zu erreichenden Ort aus? Sicherlich keines, das niederschwelligen Zugang, Transparenz der Verwaltung und Bürgernähe vermittelt. Jedes Archiv in Österreich, das aus seinem angestammten Umfeld umsiedeln musste, hat massiv an Nutzerzahlen verloren. Jene Landesarchive, wie beispielsweise in Wien, Graz und Klagenfurt, die in jüngster Vergangenheit Neubauten erhalten haben, konnten massiv davon profitieren. Die Nutzerzahlen wurden gesteigert, die Profilierung der Archive als moderne Dienstleister geschärft.

Man sollte nicht aus den Augen verlieren, dass das Oberösterreichische Landesarchiv in erster Linie eine Serviceeinrichtung für die oberösterreichische Landesverwaltung ist. Verwaltung und Archiv arbeiten seit Jahrzehnten zusammen und sind eng miteinander verzahnt. Es ist widersinnig, dass man sich so einfach vom Vorteil des kurzen Weges verabschiedet. 

Auch das oft gehörte Argument, dass in Zukunft sowieso alles digital ist, mag nicht überzeugen. Denn viele der Akten, auf die die Landesverwaltung immer wieder zugreifen wird müssen, sind nur in Papierform vorhanden. Digitalisierung ist ein Kostentreiber in der Verwaltung, eine umfassende Digitalisierung des Landesarchivs würde Unsummen verschlingen. Eine Renovierung und Erweiterung des Landesarchivs am derzeitigen Standort ist hier sowohl aus der Perspektive der Verwaltung als auch aus der Sicht der (historischen) Forschung die viel günstigere, bürgernähere und klügere Lösung. 

Thomas Just

 

Bildschirmfoto 2025 12 17 um 17.25.43Die Pläne, das OÖ. Landesarchiv aus dem Zentrum von Linz nach Feldkirchen an der Donau zu verlegen, betreffen nicht nur einen Standort – sie betreffen das kulturelle und politische GedächtnisOberösterreichs. Ein Archiv ist, wie Jacques Derrida betont, eine „grundsätzlich politische Kategorie“:

Ohne Archiv keine Öffentlichkeit.
Ohne Archiv keine Kritik.
Ohne Archiv keine res publica – keine Republik.

Das Archiv ist ein kollektiver Wissensspeicher, dessen demokratische Qualität sich über drei Prinzipien definiert: Zugänglichkeit, Auswahl und Konservierung. Es ist eine Institution, deren Legitimität sich über Öffnung oder Schließung bestimmt – und damit über den Charakter eines politischen Systems. Totalitäre Regime halten Archive geheim und eliminieren das Speichergedächtnis zugunsten des Funktionsgedächtnisses; demokratische Systeme dagegen weiten das Speichergedächtnis aus und machen es zum Eigentum der Öffentlichkeit: zu einem Bestand, „der individuell genutzt und gedeutet werden kann“.

Ein funktionsfähiges Landesarchiv ist damit ein institutionalisiertes Gedächtnis der Polis – ein öffentliches Gut, das zwischen Herrschaftsinstrument und ausgelagertem Wissensdepot steht. Seine demokratische Bedeutung zeigt sich gerade darin, dass es leicht zugänglich, räumlich präsent und öffentlich sichtbar ist.[1]

Eine Verlegung an einen abgelegenen, nicht öffentlich angebundenen Standort würde diesen demokratischen Auftrag fundamental unterlaufen. Sie erschwert den Zugang für Schüler:innen, Studierende, Wissenschaftler:innen, Journalist:innen, Heimatforscher:innen und Bürger:innen erheblich, gefährdet etablierte Forschungskooperationen und schwächt die institutionelle Sichtbarkeit des Archivs in der Öffentlichkeit. Die räumliche Marginalisierung des Gedächtnisses führt unweigerlich zu einer Marginalisierung seiner Nutzung – mit direkten Auswirkungen auf demokratische Kontrolle, historische Bildung und gesellschaftliche Teilhabe.

Es ist daher unabdingbar, das OÖ. Landesarchiv am Standort Linz als sichtbaren, zugänglichen und öffentlichen Ort des Wissens, der Kritik und der demokratischen Selbstverständigung zu erhalten. Ebenso notwendig ist eine breite, transparente Debatte über seine Zukunft – unter Einbeziehung von Fachleuten, Mitarbeiter:innen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Das kulturelle Gedächtnis eines Landes darf nicht an die Peripherie verlagert werden.

Regina Thumser-Wöhs

Alle Zitate aus bzw. zitiert nach: Aleida Assmann, Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 1999.

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